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Hintergrundinformationen zu aktuellen Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Kohleausstieg 2030 und Lützerath

Hintergrundinformationen zu aktuellen Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Kohleausstieg 2030 und Lützerath

I. Inanspruchnahme der Ortschaft Lützerath

In der öffentlichen Diskussion über die Notwendigkeit, Lützerath in Anspruch zu nehmen, sind eine Vielzahl von Informationen in der Diskussion. Die drei unabhängigen Gutachten des MWIKE sprechen eine klare Sprache: Bei den akut notwendigen Energiemengen zur Wahrung der Energieversorgungssicherheit ist ein Erhalt von Lützerath nicht möglich. Sich darüber hinwegzusetzen wäre unverantwortlich.

Zudem wäre die im Interesse der Region liegende Erfüllung bestehender Rekultivierungsverpflichtungen nicht möglich und wasserwirtschaftliche Risiken wären ungeklärt.

Die für RWE zugängliche Menge wurde durch den früheren Ausstieg von ursprünglich 560 Millionen Tonnen auf rund 280 Millionen Tonnen Kohle halbiert. Es steht RWE also nicht mehr, sondern deutlich weniger Kohle zur Verfügung, als ursprünglich genehmigt. Das ist ein großer Erfolg für die Menschen vor Ort – und ein wichtiger Schritt im gemeinsamen Einsatz für den endgültigen Ausstieg aus den fossilen Energien.

Die gutachterlich prognostizierten Braunkohlebedarfe aus dem Tagebau Garzweiler II liegen zwischen 187 Millionen Tonnen und 238 Millionen Tonnen und damit oberhalb der gutachterlich plausibilisierten Braunkohlemenge, die im Falle eines Verzichts auf die Inanspruchnahme von Lützerath im Tagebau Garzweiler für den Zeitraum 2022 bis 2030 maximal gewinnbar wäre (170 Millionen Tonnen).

Die Betrachtung auf die gewinnbare Gesamtmenge zu beschränken, greift darüber hinaus zu kurz. Denn die Fachgutachten haben herausgearbeitet, dass es im Falle des weiteren Erhalts von Lützerath bereits in 2023 frühzeitig und auch in den Folgejahren zu einem deutlichen Leistungsrückgang in der Kohle- und Abraumgewinnung käme. Damit käme es nicht nur in der Gesamtkohlemenge zu einer Unterdeckung des prognostizierten Bedarfs, sondern auch in der jährlichen Betrachtung der Kohlebedarfe ab 2023.

Fazit: Weder der Gesamtbedarf bis 2030 noch der kurzfristige Bedarf an Braunkohle in den Energiekrisenjahren können bei einem Erhalt von Lützerath gedeckt werden. Im Übrigen kommt auch die oftmals zitierte AURORA Studie zu vergleichbaren Kohlebedarfen in den nächsten beiden Jahren. Diese Kohlemenge kann man aber nur zur Verfügung stellen, wenn nicht aufwändig um Lützerath herum gebaggert werden muss. Übrigens bleiben die Braunkohlebedarfe für die Herstellung der energiewirtschaftlich ebenfalls bedeutsamen Veredelungsprodukte bei der Aurora-Studie unberücksichtigt (s. unten). Insofern widerlegt das Aurora-Gutachten die energiewirtschaftliche Notwendigkeit der Inanspruchnahme von Lützerath keinesfalls, sondern bestätigt vielmehr zentrale Aussagen der BET-Studie.

Die erzielte Einigung zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium, dem Wirtschaftsministerium NRW und der RWE AG ist ein wichtiger Meilenstein für den Klimaschutz in Deutschland und Nordrhein-Westfalen. Durch den früheren Kohleausstieg retten wir nicht nur fünf bewohnte Dörfer und drei Feldhöfe, sondern garantieren auch, dass mindestens 280 Millionen Tonnen Kohle mehr im Boden bleiben, der Tagebau erneut physisch begrenzt wird. Das entspricht rund 280 Millionen Tonnen CO2, die dadurch nicht mehr emittiert werden. Das ist ein großer Schritt hin zum 1,5-Grad-Ziel.

Wie viel CO2 dabei letztlich eingespart wird, hängt auch davon ab, wie schnell wir die Erneuerbaren Energien ausbauen. Denn mit zunehmendem Ausbau der Erneuerbaren Energien, sinkt die Auslastung der verbliebenen Braunkohlekraftwerke.

II. Kohleveredelung

Produkte aus der Braunkohleveredelung sind von hoher Bedeutung für unterschiedliche Industriebranchen. Beispielsweise wird bei der Zement-, Kalk-, und Asphaltherstellung ein großer Anteil des Energiebedarfs durch Braunkohlestaub gedeckt. In der Papier-, Zucker-, Stahl-, und Grundstoffchemieindustrie werden Veredelungsprodukte stofflich als Input oder als Energieträger für Produktionsprozesse verwendet. Es wäre nur schwer zu begründen, die Veredlungsmengen für die Industrie kurzfristig zu streichen, ohne dass entsprechend kurzfristig alternative Produkte oder Energieträger in den industriellen Prozessen einsetzbar wären.

In einem von der Landesregierung beauftragten Fachgutachten hat sich die BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH (BET) mit dieser Frage befasst. BET hat die benötigte Veredlungsmenge auf Basis von vier Studien und eines Informationsaustausches mit RWE auf 55 Millionen Tonnen abgeschätzt. Diese Abschätzung liegt deutlich unterhalb der von RWE in Auftrag gegebenen Studien aus den Jahren 2019 und 2020 sowie auch unterhalb einer DIW-Studie aus dem Jahr 2020. Die Abschätzung liegt hingegen etwas oberhalb der Coal-Exit-Studie aus dem Jahr 2022.

Die BET GmbH wurde von der Landesregierung damit beauftragt, mit Hilfe einer szenariengestützten Strommarktmodellierung den Einsatz der Braunkohle-Kraftwerke im Rheinischen Revier für die Jahre 2022 bis 2030 zu simulieren. Dabei wurden zwei unterschiedliche Energiemarktszenarien untersucht, um die Bandbreite des Braunkohlebedarfs bei einem marktgetriebenen Einsatz der Braunkohlekraftwerksblöcke zu ermitteln.

Nur im optimistischen Szenario, das von den unabhängigen Sachverständigen betrachtet wurde und das dem Szenario der viel zitierten Aurora-Studie nahekommt, nähert man sich in der Gesamtbetrachtung bis 2030 überhaupt einer Kohlemenge an, die auch ohne Lützerath abzudecken wäre. Schon, wenn der Gaspreis beispielsweise etwas höher bleibt oder die erneuerbaren Energien etwas langsamer ausgebaut werden, wäre dieses Szenario nicht mehr realistisch. Des Weiteren muss man auch bei dieser Frage berücksichtigen, dass der Kohlebedarf bei einem Erhalt von Lützerath bereits kurzfristig in 2023 und in den Folgejahren nicht gedeckt werden könnte.

Die Frage, ob man die Veredelungsmengen nicht einfach weglassen kann geht an der Realität dieser Energiekrise komplett vorbei. Wir ermöglichen den Unternehmen derzeit umfangreich, den Fuel Switch zu Gas zu verschieben oder sogar auf andere Energieträger zurück zu kommen. In dieser Zeit nun die Veredelungsmengen zu streichen, wäre ein vollkommen widersprüchliches Signal.

In dem BET-Gutachten wurde bereits ein mittelfristiger Rückgang der Veredlungsmengen angenommen. Aktuell ist die Nachfrage nach Veredlungsprodukten – auch aufgrund der Gaspreise – sehr hoch.

III. Kohlereserve nach Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG)

Ein möglicher Reservebetrieb der drei modernen BoA-Blöcke wurde im Eckpunktepapier vereinbart. Die Details sind im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz geregelt. Demnach wird die Bundesregierung im Jahr 2026 prüfen, ob und welchem Umfang die Braunkohleanlagen mit einer Leistung von rund 3600 MW in eine Reserve bis Ende 2033 überführt werden sollen.

Sofern der Reservebetrieb von drei Kraftwerksblöcken bis 2033 tatsächlich energiewirtschaftlich notwendig wird, kann RWE einen Bedarf von bis zu 50 Millionen Tonnen Braunkohle im Abbaufeld bis 2030 decken.

Die für den Reservebetrieb genannten 50 Millionen Tonnen wären aus dem Kohlevorrat (280 Millionen Tonnen) zu decken. Eine Erweiterung des Abbaubereiches über die Maßgaben der Eckpunktevereinbarung hinaus kommt nicht in Betracht. 

Zunächst wird die Bundesregierung im Jahr 2026 prüfen, ob das Reserve-Szenario energiewirtschaftlich wirklich notwendig ist. Und auch wenn diese Prüfung positiv ausfallen sollte, kommt die Wiederinbetriebnahme von Reservekraftwerken grundsätzlich nur dann in Frage, wenn ab 2030 eine energiewirtschaftlich angespannte Situation vorliegt und die Versorgungssicherheit nicht durch andere Maßnahmen gewährleistet werden kann. Im Winter 2022/2023 sehen wir, dass durch die Marktrückkehr von Braun- und Steinkohlekraftwerke der Einsatz von Erdgas im Stromsektor reduziert werden konnte und sich dadurch eine Entspannung der Gasversorgungslage eingestellt hat.

Unabhängig davon arbeiten wir mit aller Kraft daran, unser Energieversorgungssystem bis 2030 krisenfester aufzustellen und Abhängigkeiten der Vergangenheit abzubauen Ein zentrales Instrument ist dabei der massive Ausbau der Erneuerbaren Energien, den wir in Nordrhein-Westfalen mit vielen Maßnahmen vorantreiben. Zusätzlich können wasserstofffähige Gaskraftwerke, die perspektivisch grünen Wasserstoff nutzen, einen wichtigen Beitrag leisten, um die volatile Stromerzeugung durch Wind- und PV-Anlagen auszugleichen.

Ob die Reserve benötigt wird oder nicht, ändert nichts an den Einschätzungen der von der Landesregierung beauftragten Fachgutachten. Bei einem Erhalt von Lützerath käme es bereits kurzfristig im Jahr 2023 und in den Folgejahren zu einem erheblichen Leistungsverlust bei der Kohle- und Abraumgewinnung im Tagebau Garzweiler II. Lützerath liegt im zentralen Abbaubereich unmittelbar an der Abbaukante des Tagebaus. Könnte der Tagebau an der Abbaukante vor Lützerath nicht weitergeführt werden, würde die Kohle- und Abraumgewinnung zwangsläufig eingeschränkt.

Stand: Januar 2023